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Im Gespräch mit Hamid Soltani

Zu den besonderen Menschen, denen ich in den letzten paar Jahren begegnet bin, gehört sicherlich auch Hamid Soltani. Der gebürtige Kurde kam im Jahr 2016 aus Iran nach Deutschland und lebt bis heute mit seinem Sohn Armin in Rothenburg. Ich lernte ihn 2016 kennen, als Praktikant und dann Auszubildender in dem Rothenburger Unternehmen, wo ich als Personalentwicklerin und Ausbildungsleiterin angestellt war. Ich durfte ihn durch seine Ausbildung als Produktionsfachkraft Chemie begleiten und ihm mit der deutschen Sprache helfen. Schmunzelnd erinnert er sich heute an die Zeit zurück, als er ab und an den Mut verlor und die Ausbildung abbrechen wollte, ich ihn aber jedes Mal davon überzeugte, dran zu bleiben. Heute ist Hamid mein Kollege bei unserer ehrenamtlichen Tätigkeit im Migrationsbeirat und ein guter Freund. Wer ihn jetzt kennenlernt, begegnet einem sympathischen, selbstbewussten, sportlichen 44jährigen Mann, der übrigens ausgezeichnet Deutsch spricht. Doch die Geschichte, die ihn hierhergebracht hat, ist sehr bewegt und rührend. Es ist eine Geschichte von Flucht, Gefahren, Hürden und Verzweiflung. Aber auch eine von Hoffnung, Beharrlichkeit, Hilfsbereitschaft und Glück. Getragen wird sie von Hamids Glaube, der ihn nie verlassen, sondern sich in den schwierigsten Momenten noch gefestigt hat.

Heute treffe ich Hamid in einem Rothenburger Restaurant, vor uns zwei Teller Käsespätzle und zwei Krüge mit Oktoberfestbier. Ich hatte ihn gefragt, ob ich ihn für meinen Blogartikel unter der Rubrik "Menschen" interviewen darf. Doch bald bin ich von seiner Erzählung so gebannt, dass ich keine einzige der Fragen stelle, die ich vorbereitet hatte. Jeder Mensch, der sich mit Migration beschäftigt und Entscheidungen in Bezug auf die Aufnahme von Flüchtenden trifft, sollte mindestens eine Geschichte wie diese aus erster Hand hören. Ich bin froh und dankbar, dass ich Hamids Erzählungen hören durfte. Umso mehr, weil dies an einem Tag geschieht, an dem in Iran so viele Menschen für die Frauenrechte auf die Straße gehen und ihr Leben riskieren, darunter auch Hamids Geschwister.

 

Das ganze Leben in einem Rucksack

Die Reise, die Hamid nach Deutschland brachte, führt von Iran in die Türkei, über drei misslungene Versuche über das Meer nach Griechenland zu kommen und einen vierten Versuch, bei dem 14 Menschen in ein Boot stiegen, das für maximal 8 Leute zugelassen war und 6 Stunden auf offenem Meer in die Richtung eines roten Lichts an der griechischen Küste ruderten. Am Anfang der Reise war ich 37 und mein ganzes Leben, alles was ich hatte, war in einem Rucksack - sagt Hamid - aber wir waren 14 und das Boot war klein. Auch diesen Rucksack musste ich am Strand zurücklassen, mir blieben nur die Kleidung, die ich an hatte, und mein Handy. In den Tagen, als er auf seine Chance auf ein Boot wartete, versteckte sich Hamid am Strand, um den türkischen Sicherheitskräften zu entkommen, die die Gegend durchsuchten. Auch in der Nacht, als das Boot schon auf dem Meer war, beleuchteten die Lichtstrahler der Polizei lange Zeit das Wasser. Hamid sagt, er verstehe bis heute nicht, wie es möglich war, das sein Boot nicht gesehen wurde. Er ist sich sicher: Es war Gott, der die Gebete der Flüchtenden erhörte und das Boot unter zwei schützenden Händen versteckte. Bei der Ankunft in Griechenland seien er und seine Reisegefährten von der Küstenwache gefragt worden, wie sie es geschafft hätten ans Land zu kommen, denn in dieser Nacht sei kein anderes Boot angekommen.

 

Drei Stunden für eine Kirsche

Die Reise ging dann 24 Stunden lang zu Fuß weiter. Bei dem Versuch, seine Füße am Feuer zu wärmen, hat Hamid die Sohlen seiner Schuhe verbrannt und musste daher barfuß weiterlaufen. Es kam mir so vor, als wäre ich im Film Cast Awayerinnert sich Hamid und schmunzelt. Gleich fügt er hinzu: Aber ich habe es geschafft. Heute bin ich in Deutschland mit meinem Sohn, ich habe Arbeit, uns geht es sehr gut, deswegen bin ich glücklich und dankbar für die Hilfe, die ich von den Menschen und von Gott erhalten habe.

Plötzlich erinnert sich Hamid an eine Anekdote, die er mir lachend erzählt: Eines Tages, als ich in Griechenland war, sah ich einen Obstmarkt und bekam große Lust, eine Kirsche zu essen. Ich hatte kein Geld. Ich fragte den Verkäufer am Markt nach einer Kirsche, er wies mich aber ab und gab mir keine. Ich musste unbedingt eine Kirsche haben, ich würde sie klauen, mir blieb keine andere Möglichkeit. Ich wartete, bis der Markt abends zumachte und der Obststand mit einem Zelt abgedeckt wurde. Drei Stunden lang kratzte ich an diesem Zelt, um an die Kirschen zu kommen. Und ich bekam meine Kirsche. Nur eine, ich nahm nur eine.

Über mehrere Etappen und sicher unzählige weitere Schwierigkeiten, kam Hamid nach Deutschland. Zunächst nach Passau, dann nach Zirndorf, Dombühl und schließlich nach Rothenburg. Seinen ersten Eindruck von unserer mittelalterlichen Stadt beschreibt er so: Ich kam nach Rothenburg im Winter. Es war kalt, es war dunkel. Ich sah die Stadtmauer und die Tore und dachte, ich bin zurück ins Mittelalter! Ich sah eine Pferdekutsche mit Touristen fahren... Ich sagte zu meiner Begleiterin: Hier bleibe ich ganz sicher nicht! Es ist eine tote Stadt!  Seine Helferin bat ihn aber darum, für das Wochenende in Rothenburg zu bleiben. Er könne sich am folgenden Montag dann entscheiden, ob er bleiben möchte oder nicht.

 

Ankommen

Hamid ist geblieben. Durch seine offene Art hat er bald Kontakte geknüpft, Unterstützung erfahren und Freundschaften geschlossen, die bis heute andauern. Sehr bald erkundigte er sich nach Möglichkeiten eine Arbeit zu finden. Ich wollte kein Geld vom Staat. Mir war langweilig, ich wollte arbeiten. Mit Unterstützung einer Bekannten kam er zu seinem aktuellen Arbeitgeber, der ihm auch ohne Deutschkenntnisse und Arbeitserlaubnis die Chance eines Praktikums bot. Daraufhin schrieb er eine Empfehlung für Hamid, die es ihm möglich machte eine Arbeitserlaubnis zu bekommen und als Produktionsmitarbeiter bei der gleichen Firma anzufangen. Es ging dann weiter, wie schon erwähnt, mit seiner Ausbildung als Produktionsfachkraft Chemie, die er 2020 abschloss. Seitdem arbeitet er im Labor, in der Qualitätssicherung und ist ein geschätzter und motivierter Mitarbeiter. Am Wochenende hat er einen Job in der Gastronomie. Neben der Arbeit engagiert sich Hamid an mehreren Stellen ehrenamtlich. Auch sportlich ist er aktiv, als Läufer und Radfahrer, und nebenbei ist er auch alleinerziehender Vater. Hamid ist angekommen und hat sich in den letzten Jahren ein neues Leben hier aufgebaut. Ich freue mich für ihn und mit ihm darüber. Er ist unendlich dankbar und auch stolz auf das, was er erreicht hat. Zum Schluß seiner Erzählung sagt er: Ich bin ein positiver Mensch. Über Schlechtes denke ich nicht nach, ich denke lieber an das was ich geschafft habe und bin dankbar für die Hilfe, die ich erfahren habe.

Während wir unser Bier noch zu Ende trinken, stelle ich Hamid doch noch eine Frage aus dem Buch 999 Fragen an mich, das ich in meine Tasche für das Interview mitgenommen hatte. Er nennt die Zahl 8. Ich stelle Hamid die Frage Nummer 8 von 999:

 

"Wie lautet der Mädchenname deiner Mutter?"

HAMID: Dazu habe ich eine lustige Geschichte! Meine Mutter heißt Mahin Batmani. Eines Tages fragte mich die Tochter einer Bekannten in Deutschland, wie meine Mutter heiße und ich sagte: "Mahin". Diesen Namen konnte sich das Kind aber nicht merken, dann sagte ich ihr, meine Mutter heiße Mahin Batmani. Das Mädchen machte große Augen und erwiderte: "Waaas? Batman ist deine Mutter???". Ich versuchte zu erklären: "Nicht DER Batman, sie heißt nur so", aber das Mädchen behauptete überzeugt: "Es gibt nur EINEN Batman!"

 

Lachend beenden wir unser Gespräch und verabschieden uns. Bereichert von Hamids Geschichte gehe ich heim und habe noch Gänsehaut, wenn ich darüber nachdenke. Umso mehr freue ich mich darüber, dass er hier ein neues Zuhause gefunden hat, und dass ich ihn zu meinen Freunden zählen kann.

 

*999 Fragen an mich, 2018 by riva Verlag, München 

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Jasmin Kimiaie (Freitag, 26 Januar 2024 09:39)

    Hamid ist ein ganz besonderer Mensch. Er ist dankbar und positiv. All seine Träume und Wünsche kommen in Erfüllung, davon bin ich überzeugt.