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KEINE 10 Tipps, um besser zu werden

In der Mailbox, in allen Social Media und als Pop-up bei einer Google Recherche; manchmal auch noch ganz altmodisch im Briefkasten: Jeden Tag werde ich überflutet von Angeboten, die mir versprechen alle möglichen Aufgaben, Vorhaben und Aktivitäten ganz schnell und einfach zu erledigen. „10 Tipps um dauerhaft abzunehmen“, „schnell und einfach deine online Kurse gestalten“, „einfache Tipps für Lernspiele im Unterricht“, heute sogar „Investieren lernen: 12 Tipps für Anfänger“. Besser werden. In allem. Sofort und ohne Anstrengung. Nur ein paar Tipps lesen, umsetzen und… schwupps! Alles läuft wie am Schnürchen. 

Schon bin ich kurz davor, mich für zwei Webinare und fünf Newsletter anzumelden, ein kostenloses Probeabo abzuschließen und einen Ratgeber zu bestellen. - Ist doch alles so einfach, das soll ich mir keinesfalls entgehen lassen! – 

Ich halte kurz inne, als mich nur noch ein Klick von meinem vermeintlichen Glücksgriff trennt. Ganz ehrlich, werde ich wirklich mithilfe von nur ein paar einfachen Tipps meine Webseite besser gestalten können? In kurzer Zeit eine Sportskanone werden und ein Sixpack haben? Meine Ernährung umstellen? Mein Geld besser investieren können? Und das vielleicht auch noch gleichzeitig?

Vermutlich nicht. Und ich will das auch gar nicht. Jedoch wirkt diese Flut an Möglichkeiten verführerisch und ermüdend zugleich und hinterlässt in mir ein Gefühl der Unzufriedenheit und die Frage, ob ich auch genug mache, genug weiß oder mehr wissen sollte. Und wenn ich doch etwas ausprobiere, was garantiert nicht einfach und schnell zu Topergebnissen führt, werde ich mir die Frage stellen, ob das an mir liegt, ob nicht alle anderen es tatsächlich mit links schaffen und ich einfach nur zu doof bin.

 

Ich reagiere in letzter Zeit sehr empfindlich auf diese Art der Werbung, die mich bedrängt, überreden möchte, ein schlechtes Gewissen einredet. Als ich vor einigen Wochen angefangen habe meinen Internetauftritt neu zu gestalten, habe ich daher beschlossen, mich bewusst von einer Ansprache zu distanzieren, die schnelle Ergebnisse ohne Anstrengung verspricht. Denn seien wir mal ehrlich: Einfache Lösungen und unkomplizierte Antworten auf komplexe Themen gibt es nicht. Und es ist gut so. Wir sollen nicht die Komplexität vereinfachen, sondern uns mit ihr auseinandersetzen und unseren Weg darin finden. Außerdem will ich nicht alles noch schneller, in wenigen Minuten, in kleinen Häppchen machen. Nein, ich will mir Zeit nehmen für das, was mir wichtig ist. Das ist die Kunst.

 

Auch meinen Kunden möchte ich mich nicht als „schnelle Lösung“ präsentieren. Schließlich bilde ich mich seit Jahrzehnten weiter um zu lernen, wie ich eine Sprache oder sonstige Inhalte auf eine Art vermitteln kann, die auf die Menschen und ihre Eigenschaften Rücksicht nimmt und sie möglichst individuell begleitet. Und in 20 Jahren in der Erwachsenenbildung habe ich noch kein Seminar gehalten, das genauso wie ein anderes war. Denn jeder von uns lernt unterschiedlich, bringt unterschiedliche Motivationen mit und hat unterschiedliche Zeiten. Lernen oder Veränderung sind ein Prozess, der begleitet und nicht aufgestülpt werden soll. Und der Weg ist so wichtig wie das Ziel, daher möchte ich diesen Weg nicht beschleunigen oder verkürzen, sondern bewusst erleben lassen.

Ich werde nicht versprechen, dass jede*r eine Sprache in nur 4 Wochen, oder mit nur 15 Minuten am Tag erlernen kann, weil das schlicht und ergreifend eine leere Aussage ist. Unsere Lernleistung ist von so vielen Variablen abhängig und die Zeit, die wir dem Lernen widmen können, ist nur eine davon. Die Motivation, die äußeren Bedingungen, die früheren Lernerfahrungen, unsere Glaubenssätze, unsere Gemütsverfassung und die Menschen, die uns auf dem Lernweg begleiten spielen ebenso eine Rolle und aus der Kombination der ganzen Faktoren ergibt sich für jede Person eine andere Lernkurve. Ebenso wenig kann ich versprechen, dass die Teilnehmenden am Ende eines Kurses diese oder jene Inhalte oder Themen beherrschen werden. Auch die standardisierte Zielerreichung, die uns schon in der Schule vorgegaukelt wird, ist eine Illusion. Was jedoch stimmt, ist: Jede*r lernt etwas, und jede*r lernt etwas anderes. Wir legen unseren Fokus je nach unserer Weltsicht und wir sehen das Gleiche, jedoch mit anderen Augen.

 

Was kann ich bieten, statt schnellen Lösungen und ultimativen Tipps? 

Eine Lernerfahrung, die bewusst wahrgenommen und gestaltet wird und von vornherein mit dem Leben verwoben und nicht davon getrennt ist. Somit ist der Schritt zum Transfer schon beim Lernen geschafft. „Man lernt, was man tut, indem man es tut“, wie Aristoteles sagte. 

Eine Lernerfahrung, die zum Erlebnis wird und Selbstreflexion einschließt.

Eine Lernerfahrung, die mit anderen Menschen geteilt und von anderen Menschen unterstützt wird.

Eine Lernerfahrung, die uns daran erinnert wie wichtig es ist, sich Zeit zu nehmen für das, was einem wichtig ist.

Welcher Glaubenssatz sollten wir verinnerlichen, um diesen Weg des Lernens mitzugehen? Vielleicht diesen, den ich neulich in einer Weiterbildungsgruppe „geschenkt“ bekommen habe: 

 

Ich muss nicht überall sein. Aber da, wo ich bin, bin ich mit meinem ganzen Selbst und in meiner ganzen Kraft. 

 

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Kommentare: 2
  • #1

    Carina Hillenbrand (Donnerstag, 28 Oktober 2021 11:24)

    Toll geschrieben, du sprichst mir aus der Seele liebe Monica.

  • #2

    Birgit (Donnerstag, 28 Oktober 2021 11:26)

    Liebe Monica, danke für diesen Beitrag!

    Ich hab so gut wie alle newsletter abbestellt und, obwohl es ja das "beste" (angeblich) ist in der heutigen Zeit um Kunden zu gewinnen, widerstrebt irgendetwas in mir.

    Ich bin auch kein Fan von höher, schneller, weiter, mehr und leeren Versprechungen...

    Danke�

    LG Birgit