Ich wünsche mir mehr Neues in die Schultüte

Seit wenigen Tagen haben die Schulen in Bayern angefangen, nächste Woche ist Baden-Württenberg dran, während andere Bundesländer schon länger in die (neue) Schulnormalität zurückgekehrt sind. Dass die Stimmung beim Schulanfang dieses Jahr anders und angespannter ist, hat wahrscheinlich jeder gespürt. Schüler, Eltern und Lehrer haben eine außergewöhnliche, nie dagewesene Zeit hinter sich, die eigentlich noch nicht zu Ende ist, und kehren jetzt in der allgemeinen Unsicherheit in einen Schulalltag zurück, der anders ist als zuvor und jedoch weitergehen soll. Weitergehen oder neu starten? Ist die Zeit des Homeschoolings nur eine schlimme Erfahrung, die wir vergessen sollten? Hat sie nicht (wie jede Krise) auch Neues hervorgebracht, das es zu bewahren gilt?

Die Digitalisierung des Lernens hat während des Lockdowns einen großen Schwung erfahren und neue Möglichkeiten der Kommunikation und der Zusammenarbeit eröffnet, die mit der Welt der jüngeren Generationen im Einklang ist. Die Schüler sind darin die Experten, die (und das ist der Mehrwert im Miteinander) Eltern und Lehrern etwas beibringen können, denn sie sind im Digitalen zu Hause. Kinder, Eltern und Lehrer haben gemeinsam einen neuen Weg beschritten und dieses "Zusammengehen" birgt so viel wertvolles für die persönliche Entwicklung aller Beteiligten. Gemeinsam hat man sich Gedanken gemacht, nicht nur wie der Stoff weitergeleitet werden kann, sondern auch wie die Klassengemeinschaft erhalten bleiben und die Kommunikation gelingen kann. Ich finde, mein Kind ist seitdem selbständiger und hat mehr Eigenverantwortung für seinen schulischen Erfolg übernommen. Er ist selbstbewusster und zuversichtlicher, dass er es schafft, wenn er sich "ins Zeug legt". Auch das ist Lernen und diese Schritte gehören von den Erwachsenen gewürdigt. Im Homeschooling steckt viel mehr, als Aufgaben zu verschicken und diese erledigt zurück zu bekommen und zu korrigieren. Es erfordert ein neues pädagogisches Konzept, das auf die Selbständigkeit der Schüler und auf die Kooperation miteinander und mit der Schule setzt. Die technischen Mitteln dazu gibt es, wenn auch noch nicht in ausreichendem Maße, aber die sind nur eine Seite der Medaille. Digitale Tools ändern von alleine nichts, wenn sie lediglich als Ersatz für die traditionellen verwendet werden. Die Methoden, die Art des Unterrichtens müssen sich mit erneuern und die Technik als Chance nutzen und sich nicht von ihr steuern lassen. Mehr Digitalisierung bedeutet nichts zwangsweise weniger Menschlichkeit und Lebendigkeit, die digitalen Tools bieten auch viele neue Wege, das Miteinander zu gestalten und fördern wie nie zuvor die Vernetzung, unabhängig von den Entfernungen.

Der persönliche Kontakt wird natürlich nicht ersetzt und ist nach wie vor lebensnotwendig. Glücklicherweise fängt nun Präsenzunterricht an allen Bildungseinrichtungen wieder an und wir gewinnen ein Stück Normalität zurück. Was ist aber aus dem geworden, was uns die vergangenen Monaten gelehrt haben? Aus dem, was die Kinder und ihre Familien erlebt haben, wie sie mit dem Ausnahmezustand zurecht gekommen sind?

Ich würde mir wünschen, dass die Schule da wieder ansetzt und Erfahrungen und Erleben integriert und darauf aufbaut. Fast eine Woche nach Schulanfang habe ich in meiner persönlichen Erfahrung einen anderen Eindruck. Ich habe vielmehr das Gefühl, dass die alte Schule, die den Lehrplan statt die Schüler in den Mittelpunkt stellt, wieder beginnt. Das Hauptthema sind die 100 Seiten vom Buch, die nicht vorgenommen werden konnten und nachgeholt werden müssen. Am ersten Tag blieb bei manchen Lehrern nicht einmal die Zeit, sich der Klasse vorzustellen und sich mit den Kindern über die Zeit des Lockdowns auszutauschen. Der Unterricht, verstanden als Stoffvermittlung, muss weitergehen.

Und die Digitalisierung? Sie wird in die Agenda nach hinten geschoben und verkommt zum leidigen Thema, worüber man schon so lange spricht. Dabei wird sie zu einer Anschaffung (und nur im besten Fall auch sinnvollen Nutzung) von Geräten reduziert und der Schwung, den digitales Lernen während der Coronakrise erfahren hat, wandert allesamt als „schlimme Zeit“ in die Erinnerung. Es wird vergessen, die positiven Effekte zu bewahren und auf dem Weg fortzuschreiten, auf dem wir schon weit gekommen sind.

Es geht so viel verloren, was eine zukunftsfähige Schule braucht. Und damit meine ich nicht nur digitales Lernen, sondern alles, was drumherum geschieht und unsere Gesellschaft zum Besseren verändern kann: Gemeinschaft, Kontakt, Vermittlung von Werten. Was macht eine zukunftsfähige Schule aus? Eine zukunftsfähige Schule ist eine, die Kinder in Zusammenarbeit mit deren Familien erzieht und auf ein eigenverantwortliches Leben in unserer Gesellschaft vorbereitet. Es ist eine Schule, die Kinder in ihrer Einzigartigkeit erkennt, annimmt und stärkt. Eine Schule, die mit der Zeit geht und sich wandelt, wenn die Zeit gekommen ist, statt an die alten Muster festzuhalten und sich hinter die „Macht des Lehrplans" zu verstecken.

Nur so wird es möglich sein, die jungen Generationen mitzunehmen und zu begleiten in eine Welt, die so unendlich komplexer ist als die der vorigen Generation ... 

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